Montag - eher als sonst

Montag, gegen 15:00 Uhr


DER Tag hier! 

Hab diese Nacht sehr gut geschlafen. 9 ½ Stunden. Das soll ich mir erst mal nachmachen! Zwischendrin gegen halb 2 Toilette, beides und Zähne putzen. Hier ist meine Wasser-Ausscheidung etwas besser geworden. Geschätzte 500 ml/Tag. Das Trockengewicht heute morgen, nach 4 Tagen ohne Dialyse, liegt bei 81,2 kg. Schlappe 2,2 kg über Normal Null, und Kalium bei 5,2, beides direkt vor der Dialyse. Krankenhäuser sind eben dazu da, um gesund zu werden, auch wenn sie Krank-enhäuser heißen. Aber Zigaretten retten auch nicht und bei Zucker muss man auch keineswegs zucken.


Heute beim Aufwachen lagen schon der modern designte OP-Overalls mit grüner Kopfbedeckung und Höschen mit Pipi-Einlage bereit. Meinen die etwa schon, ich bin ein alter Mann, der seinen Bedarf nicht mehr unter Kontrolle hat. Klar, es gibt gewisse Drücke, die halten die stärksten Männer nicht aus, aber sicher war das nur eine Vorsichtsmaßname, um eventuell mich danach nicht baden und das Bett neu beziehen zu müssen oder dass ich nicht den OP-Saal vollpuller. 


4 Röhrchen Blut wurden auch wieder gefordert. Und ein erneuter Coronatest. Wieder mit Wattestäbchen, so weit in der Nase, dass es fast noch hinten am Gaumenzäpfchen in den Rachenraum gucken kann, um den Mandeln „Hallo“ zu sagen. Ich hab KEIN Corona - und das ist NEGATIV, also POSITIV. Dann noch Blutdruck, Waage, Temperatur. 


Dann kommt „meine“ Ärztin. Die kann ich nur empfehlen für solche Eingriffe, sie hat mir von fast genau 4 Jahren meine AV-Fistel gelegt und die hat bis jetzt problemlos funktioniert. Und sie hat mit meinem Sohn einige Jahre im OP zusammengearbeitet. Sie ultraschallt den ganzen Arm, der inzwischen schon ziemlich geschwollen ist und stellt mehrere Verstopfungen fest, die nicht einfach so einfach zu beheben sind. Ein Teil davon muss raus und eine Prothese dafür eingesetzt werden. Kunststoff oder Rinderherzbeutelschlauch. Ich hab mich für Letzteres entschieden. Als ich damals den Schwerbeschädigtenausweis bekam, meinte meine Tochter: „Dad, nun können wir dir ungestraft sagen, du bist ja total behindert.“ Ich hoffe, sie wird das jetzt nicht schamlos ausweiten und mir öfters mal sagen, dass ich ja doch ein ganz schönes Rindvieh bin, wenigstens stellenweise, doch wo sie Recht hat, hat sie recht. Tja… wer den Schaden hat, muss sich eben die Grube selbst graben, in die der Elefant aus dem Porzellanladen hineinfällt. Und die Schnellen werden schon im Schaden klug.


Noch eine letzte Aufklärung (wie immer in solchen Situationen), bei der auch der Tod in Betracht gezogen werden muss. Haben Sie noch Fragen? „Ja, wer übernimmt die Beerdigungskosten?“ Kam heute schon da zweite Mal gut an…


Dann die Vorbereitungen für die OP, die dann auch gleich stattfinden soll: Overall anziehen (der mit dem Bändchen hinten und Rücken undPo frei) Haube aufsetzen, damit die Haare gebändigt sind (wer erfindet mal eine Haube für den Vollbart…?). Aufklärungsbogen  miteinander durchgehen, letzte Unterschriften, dann kommt der Transportdienst und fährt mich in den Keller. Nicht, um Kohlen hochzuholen, sondern weil dort der OP-Raum 8 ist. Dort Umstieg vom Bett auf OP-Tisch, schön warm eingepackt mit Decken. Eine Tablette unter den Mund und ein Tropf in den rechten Arm - für´s Ruhig und Gelassen werden.  Arm links freigelegt, eingeschmiert mit brauner Flüssigkeit zur Desinfektion, Handschuh über die zur Faust geballten Hand gezogen. Vielleicht, damit die Ärztin immer eine Bedrohung vor Augen hat: „Wenn du nicht ordentlich, dann…!“ Oder vielleicht auch wegen was Anderem. Dann ein Tuch über den Kopf, um das ganze Elend nicht mit anschauen zu können (was ich doch eigentlich wollte). Örtliche Betäubungsspritzen an verschiedenen Stellen in verschiedene Tiefen. Kurz warten. Ab dann spürst du zwar noch, wo sie schneiden, stechen, sich innendrin alles angucken, jetzt ohne Ultraschall,  einen Teil der Vene entfernen, das Teil vom Rindvieh dort einsetzen, annähen, einige weitere Verstopfungen entdecken und entfernen, bis alles so frei ist, wie die Autobahnen damals in Estland: Alle Schaltjahre kommt da mal ein Auto. Das spürst du zwar alles noch, aber du empfindest keinen Schmerz. Das hätte mir in meiner Kindheit passieren sollen, als mein Vater mich zu sich beorderte, um mir meine meist gerechte Strafe mit dem Teppichklopfer zu verabreichen. Da hätte ich dann nur Schmerz vortäuschen können.


Die ganze OP dauert dann doch drei Stunden - ohne Vor- und Nachbereitung, nur die Zeit, in der sich die Ärztin über mich gebeugt hat. Ganz schön lange gedauert.


Nach der OP direkt in die Dialyse, in den operierten Shunt eine spitze, grüne Nadel (1,5mm) und ich hab die selbst gestochen, mit zwei Anläufen und ohne Brille. Sitzt perfekt. Über Singleneedle an Nancy´s Verwandtschafts-Maschine 5oo8 angeschlossen. UF 2200 ml Wasser wird entzogen, um wieder auf 79 kg Trockengewicht zu kommen, Blutfluss wegen Singleneedle und OP nur bei ca. 130 ml Blut/Minute (statt 300 in der Nachtdialyse oder 400 bei der 4-Stunden-Dialyse).  Blutdruck jetzt, nach 2½ Stunden Schmusezeit mit der Machine: 133/59. Ich bin begeistert! 


Ja, nun sitze ich also hier, noch mit OP-modedesigntem Overall hänge wieder problemlos an der Nadel und sehe auf dem Display, wie meine Werte immer besser werden. Das Bein, oder besser gesagt, der eine Muskel, der das Bein nach innen und oben bewegt, ist noch etwas eingeschränkt und schmerzt noch, wenn er beansprucht wird. Doch das sind Pie-Natz zu allem Vorherigen und besonders zu der langen Ungewissheit über´s Wochenende. 


Am Ende wird alles gut - und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es eben noch nicht das Ende - und wir müssen nur noch etwas warten.

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