25.11.2022, Freitag
Es ist immer wieder ergreifend. Oder wie man so schön sagt: „Es geht einem doch an die Nieren.“ Schichtwechsel von Nacht nach Früh und von Gießen wieder nach Lich, im selben Zimmer, Raum 3, Platz 6. Ein halbes Jahr war ich hier weg. Damals lag ich auf Platz 7 daneben. Auf Platz 6 lag ganz am Anfang Herr K. Verstorben. Dann lag da ganz lange Herr E. Wir hatten viel Spaß miteinander, haben Brötchen getauscht - er wollte immer meine Leberwurst, ich seine Salami - viel miteinander erzählt. Verstorben. Zuletzt kam Herr A. neben mich. Kurz danach bin ich nach Gießen. Nun lieg ich im Bett von Herrn A. Verstorben. Zwei Betten weiter, Platz 5, lag Frau M. Während ich in Gießen war - verstorben. Nicht gezählt die etlichen, die in den letzten fast 4 Jahren neben mir auf Platz 8 gelegen haben. Patienten aus den Klinik-Abteilungen von hier. Ich weiß nicht mehr, wieviele von denen irgendwann nicht mehr kamen - weil sie verstorben waren, anstatt als geheilt entlassen zu werden.
Über das Sterben und den Tod redet man nicht? Nein? Das ist etwas Befremdendes? Wenn du es aber ständig neben dir hast? Wenn du es bei der Shunt-OP im Krankenhaus sogar miterlebst, wie jemand im Nachbarbett sich erst etwas seltsam benimmt - und dann plötzlich tot ist? Risiko-Gruppe, geschwächtes Immunsystem, Ü-60, Dialysepflichtig, Vorerkrankungen - alles Kandidaten für erhöhtes Sterberisiko. Rechts und links neben mir. Und ich mittendrin.
Nein, dann beschäftigt einen das doch immer wieder mal. Ich habe keine Angst davor, zu sterben. Es wird immer gepredigt, wie schön es im Himmel ist, also kann man sich doch echt darauf freuen. Viel mehr noch wie damals zur Wende ´89, als wir plötzlich vom Osten in den Westen durften, das war auch wie ein kleines Stück vom Himmel.
Wie geht es dir, wenn du hörst, dass schon wieder ein Schlagerstar oder Schauspieler gestorben ist, den du in deiner Jugendzeit angehimmelt hast? Oder einer deiner Schulkameraden, genauso alt wie du? Nachbarn, Bekannte, Freunde, vielleicht jünger als du? Gell, das geht dir auch irgendwie an die Nieren?
Ich will dir aber nicht das Wochenende verderben. Bleib am Leben, tu alles dafür, dass dir das noch lange gelingt und genieße die Zeit, die dir bleibt.