8 February 2024

Daheim

08.02.2024, Donnerstag


„Ach, wieder daheim!“ meinte meine Mitpatientin neben mir, als die Ambulanz sie hierher brachte und ihr half, ins Bett zu kommen. „Daheim.“ Hier in der Klinik! Der Satz kann einem zu Denken geben. Daheimer als Daheim? Ich kann es nachempfinden…


Nein, ich will nicht schon wieder jammern und klagen. Mir geht es gut, besser als vielen anderen hier. Ich lauf noch auf meinen eigenen Beinen selber hier rein, statt mit Stock oder Rollator oder Rollstuhl oder liegend auf der Trage. Ich hab auch nicht schon wieder einen Shuntverschluss wie mein Bettnachbar jetzt grade. Ich kann noch klar und geradeaus denken, hab relativ gute Werte, stech mir sogar die Nadeln noch selber. 

Noch. Mal sehen wie lange noch. Vielleicht werd ich bald so sehr zittern, dass ich das nicht mehr zustande bringe. Das Nervenkostüm - ich hatte das vor Wochen schon mal angedeutet - ist ziemlich zerfleddert und bräuchte ne Generalüberholung. Acht Wochen Urlaub ganz alleine auf einer einsamen Insel (der Garten würde unter Umständen schon reichen), nur mit Ella, denn ohne Ella kann ich nicht mehr leben. 


Tja, da hat man sich so lange auf das Rentner-Dasein gefreut. Endlich nicht mehr 5 Tage die Woche zur Arbeit müssen und nur das Wochenende oder paar Stunden am Abend frei. (Dabei hab ich mit insgesamt 6 Nebenjobs auch an den Wochenenden gearbeitet und stand kurz vor dem Burnout.) Nein, keinen Stress mehr, keine Nebenjobs, sondern Zeit, viel Zeit, Freizeit, Wochenendtripps, spontane Urlaube, Tagesausflüge irgendwohin, mal eine Woche im Wellness-Hotel genießen, Auslandsreisen, jeden Tag im Garten wühlen und die Natur genießen, mit dem Nachbar am Lagerfeuer sitzen bei einem Bier oder einem Glas Rotwein oder einfach nur Zuhause bleiben und rumhängen, in aller Ruhe gemütlich das Frühstück genießen, das Koch-Hobby ausleben, lange Spaziergänge machen. Einfach nur das Leben genießen.


Stattdessen rennst du dreimal die Woche zu nachtschlafener Zeit in die Klinik, rammelst dir zwei dicke Nadeln bis zum Anschlag in den Arm, hängst bis Mittag dort rum, gefesselt ans Bett, wartest danach manchmal über eine Stunde aufs Taxi, kommst am frühen Nachmittag endlich heim und möchtest nur noch schlafen weil du fix und fertig bist, dein Arm ist zerstochen und sieht mit den Aneurismen und OP-Wunden schlimmer aus, als der eines Heroin-Junkies, nur dass der eine ganz dünne Nadel nimmt und nicht eine viermal dickere und die nur kurz rein sticht und gleich wieder raus und nicht fünfeinhalb Stunden drin lässt. Egal, ob Jahreswechsel, Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Geburtstag oder irgendwas anderes Wichtiges oder Schönes, nichts zählt. Du musst zu deinen Terminen antanzen. Gnadenlos, knallhart. 


DAS ist jetzt das reale Rentner-Dasein! Und trotzdem bist du froh, dass es so geht und du diese Möglichkeit zum Überleben hast. Die Alternative dazu?: „Minimal-Versorgung.“ Eine dritte, nur selten genannte Möglichkeit bei Nierenversagen. Keine Dialyse, weder Hämo, Hämodia oder Peretoneal, nur medikamentöse Versorgung, um die Schmerzen gering zu halten - und warten, bis der Körper innerhalb einiger Wochen vergiftet ist und du vom Diesseits ins Jenseits wechselst.


Die vierte Möglichkeit? Transplantation? Von den fast 60 Patienten hier hat in den 5 ¼ Jahren, die ich jetzt hier bin, bis jetzt eine einzige eine neue Niere bekommen. Im Klartext: Du kannst auf eine neue Niere warten, bis du (im wahrsten Sinn des Wortes) schwarz wirst.


Um die Zeit bis dahin zu verkürzen - 


gibt es erst mal Frühstück.


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